Porth:

„Wir wollen keine Daimler-Werkself“

Stimmen die Mitglieder des VfB Stuttgart am 1. Juni für eine Ausgliederung, steht die Daimler AG als Ankerinvestor bereit. Was will der Autobauer? Zahlt er einen fairen Preis? Gibt es Interessenskonflikte? Daimler-Vorstand Wilfried Porth bezieht im Interview klar Stellung.

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Daimler-Vorstand und VfB-Aufsichtsrat: Wilfried Porth

Am 1. Juni stimmt die Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart darüber ab, ob der Bundesliga-Aufsteiger seine Profiabteilung in eine AG ausgliedert. Die Daimler AG würde dann für 11,75 Prozent der Anteile 41,5 Millionen Euro zahlen.

Herr Porth, am vergangenen Sonntag hat der VfB den Aufstieg in die Bundesliga klargemacht und entsprechend gefeiert. Wie verlief Ihr darauf folgender Arbeitstag?
Emotional – und mit schlechter Stimme. Aber es war natürlich schön, und am meisten hat mich gefreut, dass die ganze Region diese Emotionalität aufgegriffen hat.

Die Saison ist vorüber, das nächste Spiel steht bereits auf dem Plan. Am kommenden Donnerstag wird über die Ausgliederung abgestimmt.
Es ist quasi das letzte Heimspiel dieser Saison und ein sehr wichtiges, weil ich einfach eine Notwendigkeit für diesen Schritt sehe, damit wir unsere Ziele erreichen können.

Wen meinen Sie in diesem Fall mit „uns“? Sie sind ja einerseits Aufsichtsrat beim VfB, andererseits Vorstand der Daimler AG, die sich im Falle einer Ausgliederung finanziell engagieren würde.
Zunächst einmal sage ich das als Fan des VfB. Wir wollen den Verein schließlich wieder dorthin bringen, wo er hingehört – und das ist nicht der untere Teil der Bundesligatabelle, sondern der obere. Eine solche Entwicklung wäre dann natürlich auch im Interesse der Daimler AG.

Die Anteile einer möglichen VfB-AG im Wert von 41,5 Millionen Euro erwerben würde. Was versprechen Sie sich davon?
Wir als Unternehmen müssen – wie der VfB auch – viele Talente nach Stuttgart holen. Dabei spielt die Gesamtattraktivität dieser Region eine wichtige Rolle. Zudem haben wir viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dem VfB emotional verbunden sind. Daher sehen wir es auch als eine Verpflichtung, die Entwicklung unseres Nachbarn mit voranzutreiben.

Gab es in diesem Punkt ein Umdenken im Unternehmen? Den Wunsch, Daimler möge sich mehr beim VfB engagieren, gibt es schließlich schon sehr lange.
Es war nicht zielführend, dass die Diskussion über die Ausgliederung nie zu Ende geführt wurde. Beim Sponsoring gab und gibt es branchenübliche Grenzen, über die können wir nicht hinaus, selbst wenn wir wollten. Die Voraussetzung für eine Investition über das Sponsoring hinaus ist daher die Ausgliederung.

41,5 Millionen Euro für 11,75 Prozent der VfB AG. Ein gutes Geschäft oder eine gute Tat?
Weder noch. Wir wollen ein positives und emotionales Signal für Stuttgart und die Region setzen. Wir haben großes Vertrauen in den Verein, die handelnden Personen und die sportliche Entwicklung. Es handelt sich ja nicht um ein klassisches finanzielles Investment, da wir keinen Gewinn erwarten.

Das könnte Mitarbeiter, Betriebsräte und auch Aktionäre stutzig machen.
Unsere Aktionäre und unsere Mitarbeiter gestatten dem Unternehmen durchaus eine gewisse Freiheit beim Sponsoring – sei es Sport, Kultur oder Lokales. Das Engagement beim VfB ist für uns auch eine Möglichkeit, einen Gegenpunkt zu setzen zu den vielen negativen Schlagzeilen, mit denen man Stuttgart zuletzt immer wieder verbunden hat.

Also ist die Investition auch ein politisches Zeichen?
Zumindest ein kommunalpolitisches. Und es ist eine Investition mit Leidenschaft.

Eine zum Schnäppchenpreis?
Wir machen mit dem VfB kein Schnäppchen, sondern bieten dem Verein 41,5 Millionen Euro, ohne einen monetären Return zu erwarten. Ganz generell aber ist die Bewertung eines Fußballclubs eine schwierige Geschichte. Wir haben das sehr seriös gemacht. Daher denke ich, dass wir eine für beide Seiten faire Lösung gefunden haben.

Es gab eine Bewertung des VfB und eine von Daimler. Lagen Sie weit auseinander?
Nein.
Der VfB hat bisher nur mit der Daimler AG über einen Einstieg verhandelt. Sie mussten also keinen Konkurrenten ausstechen. Hat das nicht den Preis gedrückt?

Schauen Sie sich die Bewertungen anderer Fußballclubs an. Dann werden Sie sehen, dass wir uns mit dem VfB auf eine Bewertung geeinigt haben, die für uns wirklich am oberen Ende des Vertretbaren liegt. Und wer dies kritisiert, soll uns doch bitteschön sagen, wer denn als Ankerinvestor noch hätte mitbieten wollen. Derjenige, der mindestens so viel geboten hätte wie wir, der darf sich gerne noch einmal melden.

Sie haben mit Ihren Kollegen aus dem Aufsichtsrat Wolfgang Dietrich als Präsident vorgeschlagen – nun hat die Daimler AG mit ihm über den Wert des Engagements verhandelt. Da vermutet manch einer, es wurde im Hinterzimmer gemauschelt.
Das ist ein absurder Vorwurf. Zum einen sieht die Vereinssatzung dieses Vorgehen genau so vor. Zum anderen liegen alle Zahlen, Daten, Fakten transparent auf dem Tisch. Übrigens haben wir auch schon lange vor dem Amtsantritt von Herrn Dietrich gesagt, dass wir eine Ausgliederung wohlwollend begleiten werden. Und ich erinnere gerne noch einmal daran, wie die Stimmung vor der Mitgliederversammlung im Oktober 2016 gegenüber dem Präsidenten war und wie positiv sie sich nicht nur unter den Mitgliedern heute darstellt.

Sie selbst waren am bisherigen Prozess aufgrund Ihres Jobs und Ihres Ehrenamts in zweierlei Hinsicht beteiligt. Auch hier kein Interessenskonflikt?
Derartige Konstellationen gibt es ja in ganz vielen Bereichen der Geschäftswelt, das ist nichts Außergewöhnliches. Aber sollte es zu Abstimmungen kommen, bei denen es Interessenskonflikte geben könnte, enthalte ich mich selbstverständlich – im einen wie im anderen Gremium.

Wie war es bei der Entscheidung Ihres Arbeitgebers für das Engagement beim VfB?
Ich habe mich in der Vorstandssitzung der Daimler AG zu diesem Punkt enthalten.

Wolfgang Dietrich ist seit Oktober im Amt, Jan Schindelmeiser nur ein bisschen länger. Ist es nicht zu früh für eine Vertrauensfrage, die die Entscheidung über die Ausgliederung ohne Frage ist?
Bisher haben die derzeit handelnden Personen – in Aufsichtsrat, Vorstand und sportlicher Leitung – das Vertrauen doch gerechtfertigt. Außerdem stellt sich die Frage: Wie lange wollen wir noch warten? Im April dieses Jahres haben wir endlich eine klare Strategie vorgelegt bekommen, über die wir jetzt entscheiden. Wir hätten diesen Schritt schon vor einigen Jahren gehen müssen, die guten Zeitpunkte dafür wurden eigentlich verpasst.

Etwa nach der Meisterschaft 2007.
Zum Beispiel. Andere Vereine haben diese Zeit genutzt. Dieses Geschäft ist so schnelllebig und materiell geworden – wir können es uns einfach nicht leisten, noch länger zu warten.

Wenn für die Ausgliederung gestimmt wird, werden in den kommenden Jahren weitere Anteile veräußert. Bestimmt Daimler über mögliche weitere Partner mit?
Solche Themen würden künftig im Aufsichtsrat der AG besprochen, dort hätten wir als Investor und Hauptsponsor zwei Sitze, wollen da aber vor allem danach schauen, dass ordentlich mit den Geldern umgegangen wird und dass Strukturen und Pläne stimmen. Die Vereinsvertreter haben in der Hauptversammlung der AG zwar die Mehrheit, dass man auf bestehende Investoren Rücksicht nimmt, ist doch aber auch klar.

Gibt es denn Unternehmen, Personen oder Branchen, die Sie von vornherein ausschließen würden?
Wir wollen dem Verein helfen, ihm aber seinen Gestaltungsspielraum lassen.

Solange ein weiterer Partner nicht mehr Anteile erwirbt, als die Daimler AG hält?
Nein. Wir sind für jeden Partner offen, der diesen Verein konstruktiv und mit Leidenschaft weiterbringen möchte. Sollte es einer sein, der am Ende mehr Anteile erwirbt als wir, dann ist es eben so. Wir wollen nicht dominieren, wir wollen keine Daimler-Werkself, und wir sehen den VfB auch nicht als Marketinginstrument wie es bei anderen Clubs der Fall ist.

Der Sport ist unberechenbar. Fürchten Sie bei einer sehr engen Verbindung zum VfB im Falle des Misserfolgs auch negative Auswirkungen für Ihr Unternehmen?
Wir haben auch als Partner der deutschen Nationalmannschaft Durststrecken mitgemacht, auch bei der Formel 1 gibt es ein Risiko – aber: Wenn man mit dem richtigen Konzept reingeht, kann man Rahmenbedingungen schaffen, die den Erfolg wahrscheinlicher machen.

Was geschieht, wenn die Daimler AG ihre VfB-Anteile wieder abstoßen wollen würde?
Das haben wir nicht vor, aber man muss natürlich an den Fall denken. Wir haben eine tragfähige und sehr vereinsfreundliche Regelung gefunden. So können wir beispielsweise einzig und allein an den VfB verkaufen, auch in Etappen über Jahre hinweg. Der Verein wird dann auch in Zukunft weiterhin selbst bestimmen können, wer seine Partner sind.

Wieso muss es aus Ihrer Sicht eigentlich die Rechtsform der AG sein?
Das ist der sauberste und klarste Ansatz, das haben sowohl die Berater des VfB als auch unsere so bestätigt. Da gibt es auch keine Hintergedanken.

Die Ultragruppierungen bangen um das Recht der Mitbestimmung.
Die Ultras sind ein wichtiger Teil der Fan-Basis. Aber auch diese Gruppe muss akzeptieren, dass es die kommerzielle Seite im Profi- und Leistungssport ebenfalls gibt. Wir müssen eine gute Balance finden, wir brauchen beides.

Wie viel Mitbestimmung verträgt ein Verein in einer zutiefst kapitalisierten Branche heutzutage überhaupt noch?
Fußball ist Emotion. Wir alle leben gemeinsam Emotionen rund um das Spiel und unseren Verein aus. Wenn Menschen unterschiedliche Meinungen haben, gilt es, diese gegenseitig zu respektieren. Es geht bei der Ausgliederung aber nicht um eine Entmündigung der Mitglieder. Es geht darum, eine professionelle Vereinsstruktur zu ermöglichen. Die Fans können weiterhin über die Vereinsgremien mitbestimmen.

Wie schätzen Sie die Stimmungslage mit Blick auf den 1. Juni ein?
Es geht um die Zukunft des VfB Stuttgart. Die Ausgliederung ist jetzt eine einmalige Chance, den Verein zu professionalisieren und damit die Grundlage für nachhaltige Erfolge zu legen. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen.

Quelle: Stuttgarter Zeitung


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