Profis

Die Freuden des jungen Werner



Die Umstellungshürden sind hoch, die Belastung ist durch die Schule doppelt und das Profigeschäft birgt Gefahren. Aber für Timo Werner gilt: leider geil.

Timo Werner hat es geahnt. Als Alexandru Maxim am vergangenen Sonntag in der 16. Spielminute die Ecke tritt und Christian Gentner den Ball verlängert, da lauert der Youngster schon am Ende des Fünfmeterraumes am zweiten Pfosten – und köpft letztendlich den Ausgleich. Auch wenn seine Gedanken in diesem Moment vor Freude erst einmal fassungslos herumschwirren, wie er nach dem 1:1 gegen Frankfurt sagen wird, zeigt sein Körper per Jubellauf mit Glücksprung, welche Emotionen in ihm freiwerden.

Um diese Dissonanz zwischen Körper und Geist in Worte fassen zu können, eignet sich der Song "Leider geil" der Hamburger Band Deichkind. Im Duktus dieses Liedes ließe sich jedenfalls folgende Strophe kreieren, die es natürlich niemals in die professionelle Musikszene schaffen würde, sich aber für den fußballerischen Umstand auf dem Platz der Mercedes-Benz Arena eignet.

"Mir fehlen die Worte,
ich ringe um Fassung,
dennoch ist klar –
das war: leider geil."

Leider geil, das passt in einigen Aspekten zur aktuellen Situation von Timo Werner. Er ist 17 Jahre jung, besucht ein Stuttgarter Gymnasium, ist seit dieser Saison Fußballprofi und nun auch der bislang jüngste Bundesligatorschütze sowie der jüngste jemals eingesetzte Akteur in einem Pflichtspiel in der VfB Geschichte. Die Umstellungshürden sind hoch, die Belastung hat sich mit dem Schuljahresstart wieder verdoppelt und auch die Gefahren des Profigeschäfts wabern umher, doch die Quintessenz lautet eben: leider geil.

Morgens drückt der Flügelflitzer die Schulbank, in der Pause holt ihn dann meist sein Vater ab und chauffiert ihn zum VfB Trainingsgelände für die Vormittagseinheit. Danach stehen wieder Mathe, Bio und Co. auf dem Programm, bevor das Nachmittagstraining ruft – wenn zwei Einheiten angesetzt sind. "Das ist schon stressig", sagt Timo Werner, aber: leider geil. Und seit dieser Saison sogar noch etwas besser aus Bildungssicht, weil das erste Training nicht schon wie in der Jugend um 8 Uhr terminiert ist und er somit den Unterricht besuchen kann. Aber ohnehin war dem sprint- und abschlussstarken Fußballer stets klar: "Die Schule steht im Vordergrund, das war daheim schon immer ein Thema und ich sehe das auch so." Verletzungen könnten eine Karriere beispielsweise abrupt stoppen und das Abitur sei dann eine tolle Alternative. "Man kann damit alles machen."

Gratwanderung zwischen abgehoben
und mittelpunktssüchtig

Seine neue Bekanntheit verändert natürlich auch die Reaktionen im Umfeld. Auf der Straße drehen sich die Passanten nach ihm um, die Unterstufenschüler wollen Fotos mit ihm machen. Timo Werner ist nun eine Person der Öffentlichkeit, steht im Rampenlicht, wird daher aber jedoch auch genauer und kritischer beobachtet, kann sich weniger leisten als ein Ottonormalbürger. Für ihn ist das aber Neuland und daher: leider geil. "Man freut sich, wenn man erkannt wird", sagt er. Autogramme in der Schule möchte er allerdings keine geben: "Das kommt blöd rüber. Ich bin ein normaler Schüler, der wie alle anderen das Abi machen will."

Wenn die Fünft- und Sechstklässler allerdings in einer Gruppe um ein Foto bitten, dann ist er so höflich, dass er diesem Wunsch nachkommt. Es ist schließlich eine Gratwanderung zwischen abgehoben und mittelpunktssüchtig, in die ein Prominenter in der Außenwahrnehmung automatisch gerät. Dass er die Bodenhaftung nicht verliert, dafür sorgen unter anderem seine Eltern, die für ihn auch in Bezug auf den Fußball eine große Hilfe darstellen. "Ich bin froh, dass ich ein Elternhaus habe, das nicht nur lobt, sondern ebenso kritisiert", sagt der 17-Jährige.

Mit dieser Mischung betrachtet Timo Werner auch die Leistung des VfB auf dem Platz. Nach der verdienten Frankfurter Führung sei der schnelle Ausgleich wichtig gewesen und "vor allem in der zweiten Hälfte haben wir richtig guten Fußball nach vorne gespielt". Das 1:1 sei am Ende leistungsgerecht gewesen und damit es beim nächsten Bundesligaspiel in Braunschweig mit einem Erfolg klappt, sei eine Leistung wie nach der Pause vonnöten – und über ein weiteres Tor würde er sich natürlich freuen, auch schon gegen Freiburg im Pokal.

"Perplex, als ich im Stadion rumgeschaut habe"

Der Neuling findet sich bislang gut zu Recht im Profifußball, er meistert die Herausforderungen der großen Zuschauerzahl und des Erwachsenensports ordentlich und sagt: "Mir tut's gut bei den Profis mitzuspielen." Freilich musste auch er sich umstellen. 40.000 Zuschauer in der Mercedes-Benz Arena seien anders als 200 im Robert-Schlienz-Stadion. "Damit muss man erst einmal umgehen. In den ersten paar Minuten war ich schon etwas perplex, als ich so rumgeschaut habe."

Doch trotz des erhöhten Drucks war das Fazit: leider geil. "Es hat Spaß gemacht", sind die Worte, die Timo Werner wählt. Er habe von vielen Personen Tipps erhalten, wie er damit umgehen solle. Diese scheinen die richtigen gewesen zu sein, "weil ich denke, dass ich es ganz gut verkraftet habe".

Er hat sich im Vorfeld nicht verrückt gemacht und mit einer simplen Tatsache selbst beruhigt: "Auch wenn man vor 40.000 Zuschauern spielt, spielt man immer noch Fußball." Und das kann er schließlich. An der körperlichen Härte des Profiniveaus hatte er allerdings "zu beißen. Ich habe schon den einen oder anderen Ruckler bekommen, bei dem ich dachte: hups, was ist denn jetzt passiert." Auch die Position auf der Außenbahn war für ihn neu, dennoch gilt: leider geil. Das passt auch zur Umstellung, sich nun mit "gestandenen Männern" die Kabine zu teilen. Er merke zwar bei der Anreise, dass er noch Jugendlicher ist, weil die Mannschaftskameraden alle mit dem Auto vorfahren, er aber als Beifahrer vom Papa oder mit Bus und Bahn. "Doch ein Gesprächsthema findet sich immer."

Puster, die Schuhe trocken föhnen

Er sei jedenfalls von allen gut aufgenommen worden und besonders Christian Gentner sowie Georg Niedermeier hätten sich seiner angenommen, aber bei jedem Spieler könne er immer nachfragen. Genauso wie bei Michael Meusch. "Er ist mein bester Freund beim VfB", sagt Timo Werner. Der Zeugwart führt automatisch zu einer weiteren Neuerung für den Youngster. Ein Profi bekomme alles an Ausrüstung, was er brauche. "Wenn ich nach einer kurzen Hose frage, ist sie in zwei Sekunden da. Und wo ich früher meine Schuhe auf den Balkon gestellt habe, da stecke ich sie jetzt plötzlich auf so einen Puster, der sie trocken föhnt." Aber die Sprudelkisten muss er als Junior selbst tragen. Dennoch gilt: leider geil. "Ich war das ohnehin schon gewohnt, weil ich meist in den älteren Jahrgängen gespielt habe und daher einer der Jüngeren war."

Bei den Profis ist er nun der Jüngste, aber seine Einstellung deutet bereits auf eine gewisse Reife hin: "Es bringt mir nichts darüber nachzudenken, was in drei Jahren ist", sagt Timo Werner. "Ich denke von Spiel zu Spiel und will in dem jeweils kommenden meine Leistung bringen." Dass es nicht nur bergauf gehen kann und er sicherlich einmal Leistungstäler durchwandern muss oder misslungene Aktionen fabriziert, ist ihm sicherlich auch bewusst. In diesen Momenten werden ihn dann wohl nicht nur seine Eltern oder Mannschaftskollegen und Trainer helfen, sondern auch die weiß-roten Anhänger. "Man merkt, dass die Fans einen aufnehmen und es freut mich sehr, dass ich diese Unterstützung erhalte." Das hat ihm besonders eine Aktion im Testspiel gegen die Stuttgarter Kickers gezeigt. "Das war mein erster Schuss im Leben als Profi. Den habe ich katastrophal gegen den Zaun gehauen und auf einmal kamen 'Werner'-Gesänge." Selbst dieser Fehlversuch war eben irgendwie: leider geil.



Quelle: vfb.de


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