Bundesliga

Ein Wunder? Ein Märchen?

Begeistert berichten die überregionalen Medien vom plötzlichen Aufschwung des VfB Stuttgart in der Fußball-Bundesliga. Jürgen Kramny ist nun ein gefragter Interviewpartner.


Der VfB-Stürmer Filip Kostic trifft beim 2:0-Sieg gegen Berlin – und versetzt mit seiner Mannschaft nicht nur die Fans in Verzückung.

Die Karawane der Krisenberichterstatter ist weitergezogen. Monate-, nein jahrelang hatten sie rund um das VfB-Clubgelände Stellung bezogen. Nirgendwo war die Wahrscheinlichkeit größer, live dabei zu sein, wie wieder einmal ein entlassener Trainer vom Hof fährt; kaum ein Ort lieferte bessere Bilder zum beliebten Thema: ein Traditionsclub auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Richtung Hannover sind die Übertragungswagen nun gefahren und nach Hoffenheim, auch wenn es dort mit der Tradition nicht ganz so weit her ist.

Viel ruhiger ist es in Stuttgart trotzdem nicht geworden. Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: jetzt sind nicht mehr die Krisenberichterstatter in der Stadt, sondern die Sensationsreporter, die dem „VfB-Wunder“ („Welt“) nachspüren. Fünf Siege hintereinander haben aus dem Abstiegskandidaten einen Europa-League-Anwärter gemacht – und aus dem VfB einen Bundesligisten, der wieder positives Aufsehen erregt, nicht nur in Deutschland.
Vom Fliegenfänger zum sicheren Rückhalt

Der US-Sender Fox Sports, der jede Woche eine Bundesligapartie live in Nord- und Südamerika überträgt, entschied sich neulich für das VfB-Spiel gegen Hamburg (2:1). Und beim Pokalspiel gegen Dortmund (1:3) rückte vergangene Woche ein Fernsehteam aus Polen an. Künstlerpech, dass Przemyslav Tyton ausgerechnet da pausierte. Das eigentliche Thema der Geschichte aber blieb unberührt: Der Pole, der sich vom vermeintlichen Fliegenfänger zum sicheren Rückhalt entwickelt hat, steht stellvertretend für den gesamten Stuttgarter Aufschwung. Das 2:0 am Samstag gegen Hertha hat der überregionalen Begeisterung weiteren Schwung verliehen. „Die Serie des VfB ist dermaßen erfolgreich, dass Netflix eine Produktion im Schwabenland anstreben sollte“, empfiehlt das Magazin „11 Freunde“, dem Zeitgeist wie immer eng verbunden. Genauso treu bleibt sich die konservative FAZ, die im Zusammenhang mit dem VfB nicht an Videostreamingdienste denkt, sondern seine Leser an Grimms Märchen erinnert: „Vom Aschenputtel zur Liga-Schönheit“, so überschreibt das Renommierblatt seine fünf Spalten breite Hymne zur Wandlung des VfB.

Hat Zorniger alles falsch gemacht?

Man möchte Alexander Zorniger derzeit dringend raten, nicht in den Sportteil der Zeitungen zu schauen. Denn sonst müsste er lesen, dass sein Nachfolger alles richtig macht, was er selbst falsch gemacht hat. Jürgen Kramny, so konstatiert die „Süddeutsche Zeitung“, sei „der Mann, der den VfB nach der Experimental-Phase unter Zorniger wieder vom Kopf auf die Füße gestellt hat“. Bei VfB-Spielen werde „kein Konzept-Spektakel, sondern erstklassiges Handwerk“ geboten, was dazu geführt habe, dass sich der VfB dank Kramny „irgendwie neugeboren“ fühle. „Sehr viel schöner“, so schließt die SZ, „kann es für ihn in Stuttgart erst mal nicht mehr werden.“

Oder vielleicht doch? Nach oben gibt es keine Grenzen mehr, davon jedenfalls sind die Leute bei „Spiegel-Online“ überzeugt: Die VfB-Elf „macht nicht den Eindruck, als könne sie irgendwas aufhalten“. Und so schließen sich zwei Fragen an. Erstens: „Wie ist aus einem verunsicherten Abstiegskandidaten eine Mannschaft geworden, die 15 Punkte aus fünf Spielen geholt hat?“ Zweitens: „Was hat Trainer Kramny nur mit dieser Mannschaft gemacht?“

Der Blue-Jeans-Trainer

Das wollen inzwischen auch sämtliche Fernsehsender wissen. Beim VfB stapeln sich die Interviewanfragen an Jürgen Kramny, von der SZ zum „Blue-Jeans-Trainer“ ernannt. Die „Welt“ hat schon vor dem Hertha-Spiel eines bekommen und ging die Sache ganz grundsätzlich an: „Sie sind der beste Bundesliga-Trainer der Rückrunde. Jetzt möchten Sie natürlich alle kennenlernen.“ – „Es können mich gerne alle kennenlernen“, erwiderte Kramny – und warnte vor allzu großen Hoffnungen: „Ich würde sagen, ich bin geerdet. Und ich glaube nicht, dass ich mich als Mensch verändern werde, auch wenn der äußere Blick auf mich jetzt ein anderer ist.“

Quelle: Stuttgarter Zeitung


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