Interview

Rüdiger über die EM und den VfB-Abstieg

Der Nationalverteidiger Antonio Rüdiger spricht im Interview über seine Entwicklung in Italien, den guten Teamgeist beim AS Rom – und darüber, dass es beim VfB Stuttgart ganz anders war. „Ich habe das Unheil kommen sehen“, sagt er unter anderem.


Die EM-Teilnahme fest im Blick: Antonio Rüdiger

Ein fester Händedruck, ein entschlossener Blick – dann kann das Interview mit Antonio Rüdiger im Trainingslager in Ascona beginnen. Der 23-Jährige strotzt vor Selbstbewusstsein, denn nach seinem guten Jahr in Italien hat sich auch in der Nationalelf einiges verändert: „Ich erfahre Respekt und Anerkennung“, sagt der frühere VfB-Verteidiger.

Herr Rüdiger, schönes Wetter, ein See, herrliche Landschaft – will man da nicht lieber Urlaub machen, als jeden Tag zu trainieren?
Was für eine Frage! Ich stehe vor meinem ersten großen Turnier und muss mich nicht extra aufrappeln, um noch einmal in Schwung zu kommen. Im Gegenteil. Ich freue mich riesig auf die EM und empfinde es als große Ehre, hier zu sein. Ich bin motiviert. Nicht übermotiviert, sondern einfach nur motiviert.

Warum betonen Sie das so?
Weil Sie bestimmt gleich fragen, ob ich mal wieder übers Ziel hinausschieße.
Also gut: Sind Sie nicht mehr so heißspornig wie in Ihrer Stuttgarter Zeit, als Sie ein paar Mal vom Platz geflogen sind?
Mag sein, dass ich früher manchmal Dinge getan habe, die man nicht tun sollte. Aber das ist bei mir nicht mehr der Fall, dieses Thema ist abgehakt. In Italien wird die Disziplin sehr großgeschrieben. Ich bin mit nur vier Gelben Karten aus der Saison rausgegangen. Kein Gelb-Rot, schon gar kein Rot. Ich denke, das sagt alles.

Was lernt man in Italien sonst noch, was man in der Bundesliga nicht lernen kann?
Zum Beispiel, wie man zu elft verteidigt. Das ist auch eine Kunst. Wenn man ein schweres Auswärtsspiel hat und bei Juventus 1:0 führt – dann stellt man sich eben hinten rein. Und wenn einer nicht mitmacht, bekommt er ein großes Problem.

Besonders attraktiv klingt das nicht.
Unterschätzen Sie die italienische Liga nicht! Sie ist sehr schwer zu spielen – nicht nur wegen der vielen Nickligkeiten. Versuchen Sie mal, schön Fußball zu spielen, wenn Sie zum Auswärtsspiel nach Chievo reisen und der Rasen sehr hoch und furchtbar trocken ist. Da sind dann andere Qualitäten gefragt als feines Kurzpassspiel. Die Italiener können aber nicht nur gut verteidigen, sie können auch Tore schießen. Da gibt es Spieler mit unheimlich großer Klasse. Es hat mich extrem weitergebracht, mich mit ihnen zu messen.

Sind Sie ein besserer Spieler geworden?
Definitiv. Ich habe mich vor allem im taktischen Bereich und der Spieleröffnung verbessert. Das war ja auch der Grund, warum ich nach Italien gegangen bin. Weil das Taktische dort im Mittelpunkt steht. Da habe ich eine Menge gelernt. Es war der genau richtige Schritt.

Das haben Ihnen nicht alle zugetraut, als Sie den VfB verlassen haben. Spüren Sie Genugtuung?
Nein. Bei allem Respekt: Was die Leute draußen sagen, ist einfach nicht so entscheidend für mich. Ich persönlich hatte jedenfalls keine Zweifel und wusste immer: wenn ich fit bin, dann spiele ich auch.

Merken Sie jetzt auch in der Nationalmannschaft, dass sich die Rolle verändert, wenn man nicht mehr von einem Abstiegskandidaten kommt, sondern als Stammspieler von AS Rom anreist?
Natürlich ist es anders als vor zwei Jahren, als ich vor der WM zum ersten Mal dabei sein durfte. Ich bin zwar noch immer ein junger Spieler, aber durch das Jahr in Italien und die Champions League habe ich internationale Erfahrung dazugewonnen. Das war für meine Entwicklung sehr wichtig. Dadurch erfahre ich innerhalb der Nationalmannschaft Respekt und Anerkennung – aber auch durch meine robuste Spielweise. Jeder weiß: der Junge geht richtig zur Sache. Da kann es auch mal knallen und wehtun.

Allerdings müssen bis nächsten Dienstag noch vier Feldspieler aussortiert werden. Machen Sie sich Sorgen?
Ich bin ganz entspannt. Ich werde Gas geben, mich anbieten und das tun, was von mir gefordert wird. Was am Ende passiert, das weiß nur der Bundestrainer. Ich bin aber sehr positiv gestimmt. Es war für mich ja auch keine Überraschung, dass ich nominiert wurde. Ich war zuletzt immer dabei und habe auch gute Spiele gemacht. Daher gibt es für mich keinen Grund, Angst davor zu haben, nicht mit zur EM zu fahren. Angst habe ich ohnehin nie.

Dann lassen Sie uns über den VfB sprechen, der Sie schwer vermisst hat und abgestiegen ist. Haben Sie aus der Ferne mitgelitten?
Ich habe den Weg genau verfolgt und das Unheil kommen sehen. Eigentlich schien der VfB ja schon gesichert – aber genau das erwies sich dann als das Problem. Da wurde auf einmal von der Europa League gesprochen, doch dann ging plötzlich alles nach hinten los. Und niemand konnte es mehr stoppen. Schade.

Klingt nicht, als wären Sie wegen des Abstiegs des VfB am Boden zerstört.
Ich habe viele Jahre beim VfB verbracht und dem Club einiges zu verdanken. Aber wenn man jedes Jahr gegen den Abstieg spielt, ist das kein Zufall mehr. Dann ist es eben irgendwann so weit.

Was waren die größten Fehler?
Das kann ich nicht genau beurteilen.

Aber Sie waren lange genug beim VfB und haben auch immer gegen den Abstieg gespielt.
Vielleicht spielt auch das Klima, das in einem Verein herrscht, eine Rolle. Wir Fußballer sind im Grunde genommen alle Egoisten. Aber in Rom versteht sich die Mannschaft sehr gut. In Stuttgart war das nicht immer der Fall. Und dann wird es halt auf Dauer sehr schwer, erfolgreich zu sein.

Sie stehen noch beim VfB unter Vertrag. Hat Rom die Kaufoption schon gezogen?
Um diese Geschichten kümmert sich mein Berater (sein Halbbruder Sahr Senesie, Anm. d. Red.). Da bin ich ganz entspannt.

Beschäftigt Sie Ihre Zukunft gar nicht? Sie werden mit vielen Großclubs in Verbindung gebracht.
Ich mache mir da nicht allzu viele Gedanken. Es ist ja nicht so, dass ich unbedingt weg will, so wie es letztes Jahr beim VfB der Fall war. Ich habe jetzt hoffentlich eine EM vor mir. Und den Rest macht mein Bruder schon.

Wie könnte Ihr nächster Schritt aussehen?
Endlich mal einen Titel zu gewinnen. Leider hat nicht jeder das Glück wie Thomas Müller oder Bastian Schweinsteiger, die schon unzählige Titel geholt haben. Das sei ihnen auch von Herzen gegönnt. Jetzt will aber auch ich mal an der Reihe sein – ob mit AS Rom, der Nationalmannschaft oder sonst irgendjemandem.

Dumme Frage: Sie haben noch gar nichts gewonnen?
Doch. In der C-Jugend wurde ich Berliner Hallenmeister mit Hertha Zehlendorf. Wird also höchste Zeit, dass der nächste Titel folgt.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


Mummi [Linked Image]