Meistertrainer Armin Veh zum VfB Stuttgart

„Nicht mit Mittelmaß zufrieden geben“

VfB-Meistertrainer Armin Veh traut dem Aufsteiger in dieser Saison viel zu. „Der VfB kann überraschen“, sagt er im Interview.

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2007 führte Armin Veh den VfB Stuttgart zum Meistertitel. Für die nächste Saison
rechnet er wieder mit dem Bundesliga-Aufsteiger.

Er steht für große Zeiten des VfB Stuttgart, sieht seinen Ex-Club aber auch in der Rolle des Aufsteigers gut aufgestellt. „Der VfB kann überraschen“, sagt Meistertrainer Armin Veh, der die kommende Bundesligasaison als Experte der Sport 1-Sendung „Doppelpass“ beobachtet und analysiert.

Herr Veh, beim VfB hat es kurz vor dem Saisonstart ordentlich geknallt. Wie überrascht waren Sie von der Entlassung von Sportvorstand Jan Schindelmeiser?
Natürlich war ich überrascht, da ich ja nicht mehr ganz so nah dran bin am VfB. Ich gehe aber davon aus, dass es Gründe für diese Entscheidung gegeben haben muss – sonst macht man so etwas zu diesem Zeitpunkt ja nicht.

Mit der erhofften Ruhe ist es allerdings erst einmal vorbei. Kann das zum Stolperstein in sportlicher Hinsicht werden?
Das glaube ich nicht. Für die Spieler spielt das nach meiner Erfahrung keine große Rolle. Es wäre was anderes gewesen, wenn sie den Trainer kurz vor der Saison gewechselt hätte, denn der ist ja viel näher dran an der Mannschaft.

Der VfB spielt in dieser Bundesligasaison die ungewohnte Rolle des Aufsteigers. Wo liegen die Unterschiede zu früheren Jahren?
Der VfB ist stets ein großer Verein gewesen und wird es immer bleiben. Das sieht man auch daran, dass er in der zweiten Liga einen Zuschauerschnitt von über 50 000 Zuschauern hatte. Das fand ich toll, da hat man gemerkt, dass die Schwaben zusammenhalten, wenn es darauf ankommt. Diese entstandene Euphorie kann der Club mit einem guten Start als Aufsteiger nutzen.

Der VfB könnte also gleich in der Comeback-Saison positiv überraschen?
Ja – aber das sollte man nicht erwarten.

Zumal der VfB viele junge Spieler verpflichtet hat. Zu viele?
Der VfB verfügt ja aber auch über eine gute Achse, die hinten mit Timo Baumgartl beginnt, den ich für einen sehr guten Abwehrspieler halte. In Christian Gentner ist ein erfahrener Mann im Mittelfeld dabei, und der Sturm mit Daniel Ginczek und Simon Terodde ist auch ordentlich besetzt.

Stimmt die Mischung also doch?
Es geht doch nicht nur um das Alter der Spieler, sondern vor allem um ihre Qualität. Und die Kunst in der Kaderzusammenstellung liegt ja genau darin, dass die Mannschaft leistungsfähig, aber zugleich auch zukunftsfähig ist.

Was halten Sie von der Verpflichtung von Holger Badstuber?
Mit dem Einjahresvertrag geht der Verein mit Blick auf Badstubers zahlreiche Verletzungen auf jeden Fall überhaupt kein Risiko ein. Sie haben einen charakterstarken deutschen Spieler geholt, dazu einen Linksfuß. Wenn er nur annähernd an seine Leistungen anknüpfen kann, die er schon einmal erbracht hat, dann ist er ein absoluter Gewinn. Er kann dieser jungen Mannschaft sehr gut tun.

Inwiefern wird sich die Mannschaft nach dem Aufstieg umstellen müssen?
In der vergangenen Saison war der VfB fast immer Favorit und musste das Spiel gestalten, in der Bundesliga wird wichtig sein, dass die Mannschaft schnell umschalten kann. Man muss mehr Tempo ins Spiel bekommen – hat aber eventuell den Vorteil, dass die Konkurrenz viele Spieler und deren Qualitäten noch nicht so genau kennt.

VfB-Trainer Hannes Wolf kennt die Bundesliga auch noch nicht. Ein Problem?
Durch den Aufstieg hat er schon einen großen Schritt gemacht, der war wichtig und wird ihm genügend Selbstvertrauen geben, um auch den weiteren Weg mit dem VfB erfolgreich gehen zu können.
Sie sehen kein Risiko darin?
Nein. Überhaupt nicht.

In der neuen Saison stehen erstaunlich viele junge Trainer in der Bundesliga in der Verantwortung. Wie gefällt Ihnen dieser Trend?
Früher gab es auch schon junge Trainer, ich selbst war ja einer. Der Unterschied war, dass man in diesen jungen Jahren nicht auf der höchsten Ebene arbeiten konnte. Das hat sich verändert. Ich finde es gut, dass die jungen Kollegen Chancen bekommen.

Spielt Erfahrung keine Rolle mehr?
Doch, man muss aber auch sehen, dass die heutigen jungen Trainer ganz anders ausgebildet sind. Sie hatten oft keine so lange Karriere als Spieler oder haben gar nicht in der Bundesliga gespielt. Das passt dann schon – allerdings muss man auch aufpassen, dass man es nicht übertreibt.

Und Sie ärgern sich nicht, weil Ihnen mögliche Jobs weggenommen werden?
(Lacht) Ich? Nein. Das wäre vielleicht so, wenn ich mich langweilen würde. Aber das ist nicht so. Mir geht es gut, ich beobachte und analysiere das Ganze – unter anderem als TV-Experte bei Sport 1.

In der kommenden Saison tummeln sich nur Vereine im Oberhaus, die sich als dauerhaftes Mitglied sehen. Wird das die stärkste Bundesliga aller Zeiten?
Es wird auf jeden Fall eine sehr interessante Saison. Das Paradoxe an der Bundesliga ist ja: Man kann in einem Jahr Fünfter werden und im nächsten gegen den Abstieg spielen. Kleinigkeiten können Spiele entscheiden. Ich bin gespannt, was passiert.

Was ist mit der Stärke?
Da sehe ich die englische und die spanische Liga vor der Bundesliga. Und Italien hat wieder zu uns aufgeschlossen.

In England . . .
. . . gibt es allein sechs Spitzenmannschaften. Und auch in Spanien gibt es nicht nur Real Madrid und den FC Barcelona. Der FC Sevilla zum Beispiel hat in den vergangenen elf Jahren mehrfach die Europa League gewonnen, ein deutsches Team im gleichen Zeitraum kein einziges Mal. Die Bundesliga muss aufpassen.

Ist das alles nur eine Frage des Geldes?
Natürlich auch. Geld regiert die Welt. Andererseits haben auch einige deutsche Clubs einen vergleichbaren Etat wie der FC Sevilla – und haben es dennoch nicht geschafft, diese Erfolge zu feiern. Ich wünsche mir, dass alle deutschen Vereine, die am Europapokal teilnehmen, dort auch was erreichen wollen. Und dass sie nicht sagen, die Bundesliga sei ohnehin wichtiger. Es zeigt sich international, wie stark die Liga ist. Man kann sich ja gerne einreden, man habe die stärkste Liga der Welt – dieser Meinung bin ich aber nicht. Aber, wie gesagt: Interessant wird es auf jeden Fall. Denn in der Liga ist fast nichts mehr zementiert.

Wie meinen Sie das?
Allein vom Budget her müssten zum Beispiel der VfL Wolfsburg, Schalke 04 und Bayer Leverkusen immer oben mitspielen. Aber diese Vereine haben Schwächen offenbart – und für die Clubs dahinter ergeben sich immer wieder Möglichkeiten, oben reinzustoßen.

An der Tabellenspitze war das zuletzt unmöglich, der FC Bayern wurde fünfmal in Folge Meister. Wird es nun spannender?
Als Zuschauer wünsche ich mir das.

Wer hat das Zeug dazu, die Bayern herauszufordern?
Die Dortmunder habe ich in der vergangenen Saison schon näher dran gesehen. Auch in dieser Saison ist es für sie möglich, die Bayern anzugreifen. Und RB Leipzig kann allein durch den finanziellen Hintergrund auf Dauer oben dabei bleiben. Trotz der Zusatzbelastung in der Champions League sehe ich sie unter den Top Fünf. In München findet ja auch ein kleiner Umbruch statt. Ich hoffe, dass die anderen Vereine das auch wirklich nutzen wollen.

Philipp Lahm und Xabi Alonso sind nicht so einfach zu ersetzen . . .
. . . und der FC Bayern ist immer noch auf Franck Ribéry und Arjen Robben angewiesen. Sollten die beiden mal fehlen, könnten sie Probleme bekommen. Ich bin gespannt, wie sie das dann lösen werden. Zumal sie sich ja auch an der internationalen Konkurrenz und deren finanziellen Möglichkeiten orientieren müssen.

Zuletzt wurden 222 Millionen Euro für Neymar gezahlt. Was denken Sie bei solchen Summen?
Na ja, einerseits nimmt man das Geld ja niemandem weg. Aber vielleicht wäre es mal ganz gut, wenn man eine Grenze ziehen würde. Sonst artet es irgendwann aus, man entfernt sich zu sehr von nachvollziehbaren Verhältnissen.

Es braucht also eine Deckelung für Ablösesummen und Gehälter?
Ich glaube schon, dass das vernünftig sein könnte. Allerdings habe ich das nicht zu Ende gedacht. Es ist mehr so ein Gefühl, dass man da was machen sollte.

Zum Abschluss: Wo landet der VfB in der kommenden Saison?
Ich will da nichts voraussagen. Aber, wie gesagt: Die Mannschaft sollte diese neue Rolle des Aufsteigers nutzen, sich aber keinen Druck machen und unnötig Ziele ausgeben.

In drei Jahren soll es aber wieder Richtung Europapokal gehen.
Langfristig ist das ja gut, dass es Ziele gibt. Auf Dauer darf sich der VfB nicht mit Mittelmaß zufrieden geben. Im ersten Jahr sollte der Verein aber bescheiden und demütig sein – das war in der Vergangenheit ja nicht immer so.

Quelle: Stuttgarter Zeitung


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