Nach dem Abstieg des VfB

Bundesliga ohne den VfB – geht das überhaupt?

Der erste Schock ist verdaut, die Fassungslosigkeit bleibt: Der VfB gehört nicht mehr zur Bundesliga. Renommierte Fußballreporter aus den deutschen Metropolen nehmen Anteil – und werden nicht nur die Maultaschen im Presseraum vermissen.


Der VfB-Abstieg stürzt nicht nur für die Fans in die Sinnkrise.

Der Abstieg des VfB bewegt nicht nur die Stuttgarter Fußballfans. Nach 39 Jahren geht die Bundesliga künftig erstmals wieder ohne den Traditionsverein mit dem roten Brustring an den Start. Dabei hat der VfB stets zum Inventar gehört und liegt in der ewigen Tabelle noch immer auf einem gesicherten Europapokalplatz: auf Rang fünf hinter den Bayern, Bremen, Dortmund und Hamburg. Wir haben uns bei langjährigen journalistischen Wegbegleitern in der Republik umgehört, was der Liga fehlen wird.


Der Blick aus Frankfurt

Jan Christian Müller (52), Fußballreporter der „Frankfurter Rundschau“:

„Es ist schon eine ganze Zeit her, genau genommen 41 Jahre, da hat Werner Weist in Stuttgart ein Tor geschossen. Es war ein Seitfallzieher, ich weiß das deshalb so genau, weil das damals ausnahmsweise in der Sportschau gezeigt wurde. VfB Stuttgart gegen Werder Bremen, eines der letzten Spiele der Saison, 78. Minute, Mittelstürmer Weist liegt quer und trifft. 2:2. Werder bleibt drin, der VfB steigt ab, ich war 13 und bin vor Freude durch unser Wohnzimmer getanzt, obwohl ich den rosten Brustring saucool fand.

Ein paar Jahre danach hat mein Vater mich beiseite genommen und mir feierlich verkündet, Helmut Benthaus müsse Bundestrainer werden. „Benthaus“, sagte mein Vater, „Benthaus ist der Beste.“ Benthaus trainierte den VfB und navigierte ihn 1984 zum Titel, aber Bundestrainer ist er dann doch nicht geworden. Vermutlich, weil mein Vater beim DFB nichts zu sagen hatte. Aber seitdem weiß ich, dass es in Stuttgart mindestens richtig gute Trainer gibt. Also gab.

Später bin ich oft in Stuttgart gewesen. Mein Sportchef vom Weser-Kurier hat mich bei Auswärtsspielen von Werder immer hingeschickt, weil ihm die Anreise zu blöde war. Ich hab fürs Taxi vom Stuttgarter Flughafen zum Stadion mal 95 Mark bezahlt. 95 Mark!

Stuttgart macht es einem echt nicht einfach, Stuttgart gut zu finden. Den VfB hab ich erst später liebgewonnen, genau genommen, als Jogi Löw dort Trainer wurde. Weil da der Fußball moderner aussah als anderswo, pfiffiger und intelligenter. Ich hab das damals schon meinem Vater gesagt, aber Bundestrainer konnte Löw natürlich erst werden, als Mayer-Vorfelder kein DFB-Präsident mehr war. Stuttgart macht es sich auch gerne selber schwer.

Und jetzt ist „MV“ gar nicht mehr da und der VfB nicht mehr in der Bundesliga. Schon traurig. Einerseits. Andererseits: Als ich neulich nach dem letzten Heimspiel gegen Mainz an der S-Bahn-Station Neckarpark stand, hat ein VfB-Fan erzählt, dass seine Dauerkarte nun bestimmt billiger werde.

Wenn was schiefgegangen ist, hat meine Oma immer zu mir gesagt: „Junge, wer weiß, wofür es gut ist.“ Ich finde, das passt gerade gut auf den VfB.“


Der Blick aus Hamburg

Dieter Matz (66), Reporterlegende vom „Hamburger Abendblatt“:

„Das weiße Trikot mit dem roten Brustring – zeitlos schön. Es wird mir fehlen. Es gehört doch zur Bundesliga. Und nun das. Für mich immer noch unbegreiflich, dass der VfB, doch auch ein Urgestein der deutschen Fußball-Elite, noch abgestiegen ist. Nachdem Jürgen Kramny übernommen hatte, ging es doch in Richtung Europa League . . . Es macht mich fassungslos.

Als es dann plötzlich wieder bergab ging, schien mir bei vielen Spielern der Wille zu fehlen, sich erneut mit 100 Prozent gegen den Abstieg zu wehren. Schade. Für mich ist der VfB Stuttgart „hinten“ abgestiegen, da war die Mannschaft teilweise zu naiv – und zu wenig aggressiv. Da fehlte die Qualität, eindeutig.

Das Stuttgarter Offensivspiel dagegen werde ich absolut vermissen. Es gab in dieser Saison nicht viele Clubs, die Leute von der Klasse wie Kostic, Maxim, Didavi, Werner und auch zeilweise Rupp in ihren Reihen hatten. Vermissen werde ich den fleißigen Gentner, der immer ehrlichen Fußball anbot, und den gelegentlich (positiv) „durchgeknallten“ Großkreutz.

Aber nach einem Jahr wird der VfB wieder da sein. Und mit ihm das schöne weiß-rote Trikot. Im Schrank bei mir liegt übrigens noch ein originales goldenes VfB-Jersey. Von Krassimir Balakov. Das waren noch Zeiten. Ich halte es in Ehren. Der VfB kommt ja wieder.“


Der Blick aus Berlin

Lars Wallrodt (41), Fußballchef der „Welt“:

„Als Norddeutscher war mir der VfB immer recht fern – und gehörte doch immer dazu. In den frühen 80er Jahren, als der Fußball zum Ein und Alles wurde, klebte ich Hermann Ohlicher in mein Panini-Album (dieser Schnurrbart), amüsierte mich über Asgeir Sigurvinsson (dieser Vorname) und bewunderte die Förster-Brüder (diese Grätschen). Der VfB gehörte für mich immer zur DNA der Bundesliga. Und zu begreifen, dass er nun nicht mehr da ist, wird Zeit brauchen.

Der Niedergang des Meisters von 2007 geht einher mit dem Straucheln zahlreicher Großklubs. Der HSV, Werder Bremen und Eintracht Frankfurt standen in dieser Saison am Abgrund und könnten bald dem VfB folgen. Nürnberg und Kaiserslautern erwischte es schon früher. So individuell die Fehlerketten in diesen Klubs sein mögen: Sie eint ein Strukturproblem und das Emporkommen von Klubs wie Wolfsburg, Hoffenheim, bald RB Leipzig.

Beides hängt indirekt zusammen. Diese Vereinen, mitunter „Plastik-Clubs“ genannt, eint ein Vorteil: eine extrem schlanke Hierarchie. Hier reden nicht Heerscharen von Ehemaligen mit, es gibt keine Mitgliederversammlungen, in denen Putsch droht. Es gibt zwei, drei Entscheider, denen keiner in die Quere kommt. Übrigens auch ein Phänomen, das bei erfolgreichen Klubs wie dem FC Bayern oder Borussia Dortmund zu beobachten ist, wo sich die Führungsfiguren nicht reinreden lassen.

Beim VfB war das nicht der Fall, und die ständigen personellen Rocharden im Präsidium, Aufsichtsrat und in der sportlichen Leitung bewirkten, dass nie eine stringente Vereinsphilosophie aufgebaut werden konnte. Jeder wollte die Spuren des Vorgängers auswischen und seinen eigenen Stempel aufdrücken. Konstanz, heutzutage wichtiger denn je, war so bloßes Wunschdenken. Den Stuttgartern ist zu wünschen, dass sich mal einer traut, langfristig zu planen. Bei Hertha BSC, wo Manager Michael Preetz gleich zwei Abstiege überlebte, geht dieser Plan gerade auf.“


Der Blick aus Köln

Christian Löer (40), stellvertretender Sportchef des „Kölner Stadt-Anzeiger“:

„Wer als Journalist das jeweilige Gastteam nach Stuttgart begleitet, sitzt in einer der obersten Reihen des Pressesektors, im Rücken die örtlichen Dauerkarten-Inhaber. Wer sich ein Bild vom schwäbischen Qualitätsanspruch machen möchte, der muss nur den Leuten auf der Haupttribüne des Stuttgarter Stadions zuhören. Denn die schimpfen schon, bevor auch nur die Mannschaftsaufstellung verlesen worden ist. So jedenfalls der Eindruck des Zugereisten, der aus rheinischer Sicht stets mit Ehrfurcht in die Region Stuttgart blickt: Mercedes! Bosch! Porsche! Und eigentlich ja auch der VfB.

Im Zug von Köln nach Stuttgart wurden oft Wetten abgeschlossen, wann das Publikum zu pfeifen anfangen würde. In der Regel geschah das vor der zehnten Spielminute. Und als Köln mal wieder führte und Thomas Hitzlsperger ausgewechselt wurde, pfiff das gesamte Stadion seinen Kapitän aus. Als Kölner ist man so etwas nicht gewohnt. Den Kölner treibt die pure Lust am Untergang, stets hofft er auf die sofortige Wende zum Besseren – was gut ist für die Stimmung in der Stadt. Aber nicht unbedingt für nachhaltige Qualität sorgt.

Wer einen derart kritischen Umgang mit sich selbst pflegt, der baut keine schlechten Autos – und der steigt auch nicht aus der Ersten Liga ab. So die Ferndiagnose des Kölners, der immerhin fünf Abstiege zu überwinden hatte. Dass es den Stuttgartern nun dennoch passiert ist, hat auch am Rhein für Entsetzen gesorgt.

In Köln sagte man sich nach dem ersten Abstieg im Jahr 1998, dass man verstanden habe. Dass man bescheiden geworden sei. Es folgten vier weitere Abstiege, und es hat beinahe 20 Jahre gedauert, bis man in Köln begriffen hat, dass man immer noch sehr groß ist. Dass aber kein Verein zu groß ist für die Zweite Liga.“


Der Blick aus München

Günter Klein (54), Fußballreporter des „Münchner Merkur“:

„Bundesliga ohne den VfB – tatsächlich habe ich das schon erlebt. In den grauen Siebzigern. Die Stuttgarter mussten in der 2. Liga Süd spielen, ich sah als kleiner Schüler, wie sie im Augsburger Rosenaustadion gegen den FCA verloren. Ottmar Hitzfeld kickte damals für den VfB; Jahrzehnte später bei einem Interview sprach ich ihn auf dieses Spiel an – er konnte sich erinnern. Wie ich genau auch an die Fehlgriffe des Schweizer Torwarts Rene Deck, von dem man seither nichts mehr gehört hat.

Als Reporter habe ich den VfB immer als unverrückbar festen Bestandteil der Bundesliga gesehen. Man ist da gerne mal hingefahren – als Felix Magath eine Elf mit überwiegend jungen Wilden formte und in der Champions League gegen Chelsea spielte. Man erinnert sich, dass die englischen Spieler den VfBler Philipp Lahm für einen Balljungen hielten, so kindlich sah er noch aus. Und schließlich 2007: der Meister-Coup unter Armin Veh.

Da bestätigte sich, dass der VfB in jedem Jahrzehnt einmal zu einem unfassbaren Jahr fähig ist. Benthaus, Daum, Veh. Danach kam noch Babbel, der in einem Interview mit unserer Zeitung erzählte, dass die Leute, ja sogar die eigene Tochter, fanden, er sehe diesem aufstrebenden Trainer in Barcelona, diesem Guardiola, ähnlich. Guardiola ist dem VfB für drei Jahre nahe gekommen – nun hat man sich weiter voneinander entfernt denn je.

Für einen München- und Augsburg-Reporter sind die liebgewonnen Fahrten nach Bad Cannstatt jetzt erst mal vorbei. Am Gaskessel von der Bundesstraße abfahren, im Presseraum sich auf Maultaschen freuen – Stuttgart-Reisen hatten was.“

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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