Antonio Rüdiger

Rüdiger will sich bei den Profis festspielen



Wenn Antonio Rüdiger früher den Ball am Fuß hatte oder ins Duell mit einem Gegenspieler ging, dann lief das meist nach der Devise ab: Augen zu und durch. Die Bälle nach vorn hatten zuweilen einen Streufaktor, der VfB-II-Trainer Jürgen Kramny schier verzweifeln ließ. Und beim Zweikampf konnten die Zuschauer nur hoffen, dass Rüdiger und sein Gegenspieler einigermaßen heil daraus hervorgingen. Der Verteidiger lief im hohen Drehzahlbereich. „Ich war übermotiviert“, sagt er.

Früher, das ist erst ein gutes halbes Jahr her. Doch seither, sagt Antonio Rüdiger (19), sei Fundamentales geschehen. Mit ihm und mit seiner Einstellung. Und damit mit seiner Spielweise. „Ich bin ruhiger geworden, ich bin nicht mehr so aggressiv und so ungestüm“, sagt der gebürtige Berliner. Immer wieder hatten das seine Trainer eingefordert, früher in der Jugend von Borussia Dortmund und davor bei Hertha 03 Zehlendorf. „Damals hat mich das nicht interessiert“, gesteht Rüdiger, „aber jetzt weiß ich, dass es für mein Spiel besser ist. Jetzt ­konzentriere ich mich aufs Wesentliche.“

Das bekommt ihm prima. Ende Januar hatte Rüdiger, der die Innenposition in der Abwehr bevorzugt, aber auch rechts oder links spielen kann, sein Bundesligadebüt im VfB-Trikot gefeiert, eigentlich ein Grund zur Freude. Aber die 0:3-Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach schmerzte ihn dann doch, seine Enttäuschung war groß. Inzwischen ist er einen Schritt weiter. Im Sommer holte ihn Cheftrainer Bruno Labbadia zusammen mit Raphael Holzhauser, Kevin Stöger und André Weis in den Profikader. Rüdiger ist der Bundesliga ein ganzes Stück näher gerückt, aber er sieht die Sache realistisch: „Die nächste Saison ist ein Lehrjahr für mich. Wenn ich nicht spiele, ist es auch kein Weltuntergang, dann spiele ich eben in der zweiten Mannschaft. Hauptsache, ich bekomme überhaupt Spielpraxis.“

„Hrubesch hat mich eingesetzt, obwohl ich sechs Monate ohne Spielpraxis war. Das ist schon ungewöhnlich“

Rüdiger weiß, wovon er spricht. Vergangene Saison kam er beim VfB II auf 17 Einsätze, was bei 38 Spielen nicht eben viel ist. Für die deutsche U-19-Nationalmannschaft lief er aber zehnmal auf – da gehörte er zum Stamm und war „ein klarer Führungsspieler“. Rüdiger übernahm auf und neben dem Platz Verantwortung: „Früher war ich ein Mitläufer, heute will ich vorangehen.“

Von Beginn an hatte U-19-Bundestrainer Horst Hrubesch zu ihm gehalten, auch in jener schweren Zeit, als er Anfang 2011 zum VfB kam und die verärgerten Dortmunder den Wechsel bis Februar blockierten – so lange, dass Rüdiger bis zum Sommer gesperrt war: „Hrubesch hat mich eingesetzt, obwohl ich sechs Monate ohne Spielpraxis war. Das ist schon ungewöhnlich.“ Auch als er Anfang 2012 zwei Monate lang im VfB-Profikader stand und in dieser Zeit nur dieses eine Spiel gegen Gladbach bestritt, behielt er seinen Stammplatz in der U 19. „Ich habe Horst Hrubesch sehr viel zu verdanken“, sagt er.

Und so kann er sicher sein, dass er in Hrubesch jetzt wieder einen Fürsprecher hatte. Vertreter des DFB-Präsidiums, des DFB-Jugendausschusses und des DFB-Trainerstabs ehren alljährlich die besten deutschen Nachwuchsspieler der U-17-, U-18- und U-19-Jahrgänge. Antonio Rüdiger wird bald ausgezeichnet spielen: Beim ältesten Jahrgang fiel ihre Wahl auf ihn. Vor dem Länderspiel am 7. September gegen Färöer erhält er in Hannover die Fritz-Walter-Medaille in Gold. Es ist die höchste Auszeichnung für Fußballtalente in Deutschland, und die Liste derer, die sie zuvor erhalten haben, enthält klangvolle Namen: Lewis Holtby, Marc-André ter Stegen, Benedikt Höwedes und Kevin-Prince Boateng. „Diese Auszeichnung bedeutet mir als farbigem Spieler und meiner Familie sehr viel“, sagt er, „es ist mir eine Ehre, für dieses Land spielen zu dürfen.“ Aber das ist es nicht allein. Da sind auch „die nicht ganz einfachen Verhältnisse“, aus denen Rüdiger kommt. Seine Mutter Lilly stammt aus Sierra Leone, sie hat dort zwei Jahre lang die Kriegswirren erlebt, bevor sie flüchtete und ihren deutschen Mann Matthias kennenlernte und heiratete. Der Fußball gibt nicht nur Antonio Rüdiger eine Perspektive, sondern auch seinen Eltern und seiner Verwandtschaft mütterlicherseits, die damals in Berlin eine neue Heimat fanden.

„Er ist ein feiner Junge mit einem super Charakter und einem großen Willen“, sagt Sportdirektor Schneider

Auch beim VfB ist die Freude groß. „Toni hatte bei uns einen schwierigen Start, wofür er nichts konnte. Er ist ein feiner Junge mit einem super Charakter und einem großen Willen. Er wird seinen Weg gehen, weil er viele positive Charaktereigenschaften besitzt“, sagt Sportdirektor Jochen Schneider.

Nur wohin dieser Weg führt, ist noch nicht so klar auszumachen. Der U 19 ist Rüdiger entwachsen. Normalerweise geht es für ihn bei der U 20 mit dem Länderspiel gegen Polen am 9. September in Großaspach weiter, doch Rüdiger hofft auf eine Berufung in die U 21, die wieder am 14. August in Offenbach zum Spiel gegen Argentinien zusammenkommt. Beim VfB ist die Konkurrenz unter den Innenverteidigern in Serdar Tasci, Georg Niedermeier und Maza groß bis übermächtig. Mehr als Kurzeinsätze sind erst mal nicht drin, was Rüdiger schon genügen würde: „Ich will so viel Spielpraxis wie möglich, aber ich setze mich nicht unter Druck.“ Vor einem halben Jahr, war das noch anders.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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