Aus dem aktuellen Heft 77

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In der Südstadt geht das Licht an.

Fortuna Kölns erste Saison im Profifußball nach vierzehn Jahren

Von Bruno Laberthier



Stadion an der Grünwalder Straße, 1. Juni 2014. Es läuft die 94. Spielminute im Relegations-Rückspiel zwischen Amma Törre, wie ortsansässige Fans die Zweitvertretung des FC Bayern mit Stechschritt in der Stimme nennen, und dem S.C. Fortuna Köln. 2:0 steht es für die Münchner, damit ist das Hinspiel-Ergebnis mehr als egalisiert, das der Meister der Regionalliga West aus der Kölner Südstadt mit 1:0 für sich entschieden hatte. Noch einen verzweifelten langen Ball der Fortuna wegschlagen, dann ist der Aufstieg in die 3. Liga für die „Amateure“ amtlich.

Der Ball fliegt in den Sechzehner, auf Torwart Lukas Raeder zu. Oliver Laux, den es nicht mehr in der Fortuna-Abwehr hält, hat nach menschlichem Ermessen keine Chance mehr, noch irgendwie einzugreifen. Die Pocke titscht auf und der Bayern- Torhüter, der es Wochen zuvor unter Pep Guardiola zu ein paar Minuten Bundesligaeinsatz gebracht hatte, braucht nur noch die Arme um sie zu schließen. Der Schiedsrichter hat die Pfeife schon im Mund. Das noch, dann wäre es durch.

Wäre, wäre, Daseinsleere.

Lukas Raeder patzt, und nachher meinen nicht wenige, dass der Bursche, dem sein auslaufender Vertrag nicht verlängert wurde, noch eine Rechnung offen hatte mit dem FCB. Oliver Laux verliert für einen Sekundenbruchteil die Orientierung, findet sie aber wieder, ehe zwei Rote das Leder vor der Linie wegdreschen können. Ein Nick, ein Tor – Fortuna!


Kölsches Liedgut

Den Last-Minute-Aufstieg feiern Trainer Uwe Koschinat und seine Jungs mit dem Liedchen von dem einen Tag, an dem es geschehen wird: „Ja dann fahren wir nach Mailand, um Fortuna Köln zu sehen!“ Präsident Klaus Ulonska heult wie ein Schoßhund. Die mitgereisten Hundertschaften von in plötzlicher Zuneigung zur ewigen Nummer Zwei in der Domstadt entbrannten Kölnern auf der Tribüne feuchtet es ebenfalls.

„In d‘r Südstadt jeit et Leech an“, das zweite Liedchen, das sie bei der Fortuna mit Inbrunst intonieren, bringt es auf den Punkt. Nach vierzehn Jahren Abstinenz vom Profifußball, nach einer üblen Durchreiche bis in die Oberliga und sogar der Abmeldung vom Spielbetrieb in der Saison 2004/05, brennt endlich wieder profifußballerisches Licht in Köln-Zollstock. Das verstorbene Präsidenten-Original Jean Löring, nach dem sie in der Südstadt Trainings-Areal und Fanclubs benennen („Schäng Gäng“), wird es auf seiner Wolke über dem Südstadion mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben.

Auf Kölner Erden machen sich unterdessen die drei Hauptverantwortlichen an die Mission Klassenerhalt. Erstens Trainer Koschinat, der aus dem Gerüst der Aufstiegsmannschaft und einem überschaubaren und vor allem nicht allzu teuren Strauß an Neuzugängen einen Kader zusammenstellt, der es trotz des kleinsten Etats aller Drittligisten mit der Konkurrenz aufnehmen können soll. Zweitens Präsident Klaus Ulonska, ein Anfangsiebziger, der Fortuna lebt wie kein anderer und dem „das Finanzielle“ besonders am Herzen liegt. Legendär sind seine Runden mit dem Spendenball durch die Reihen der Sitzer und die Ränge der Steher: „Juten Tach zusammen! Wer hat noch nich, wer will nochmal!?“ Drittens Michael Schwetje, der als Hauptinvestor agiert und ohne dessen Risikoinvestment – siehe die 94. Spielminute in München – es die Profi-Fortuna der Spielzeit 2014/15 nicht gäbe.


Mission erfüllt

Heute, ein Jahr später, lässt sich festhalten: Mission erfüllt. Auch dank des Mantras, das Ulonska beharrlich vor sich her- und an die Fans herantrug: „Wir schauen nur auf uns!“ Denn so wurde der Holperstart mit fünf Klatschen und nur einem Remis gegen Mitaufsteiger Mainz II sowie einem Auswärtsdreier in Halle unter Lehrgeldzahlen abgebucht, ohne dass die Mannschaft um Interimskapitän Thomas Kraus die ganz große Flatter bekam. Der Wendepunkt dann: zwei Siege in Folge gegen Unterhaching und beim BVB II, wo Koschinats Topeinkauf Johannes Rahn auftrumpfte, den es aus Bielefeld in die Stadt zog, die es wirklich gibt und die auch eine Kathedrale hat. Zwei sackstark und uber-cool herausgezwirbelte Tore gelangen Rahn, der in der Folge zum Goalgetter der Fortuna wurde und kurz darauf beispielsweise die Energie aus Cottbus ganz alleine aus dem Südstadion schoss. 3:0, dreimal Jo.

Und nicht nur die Neuzugänge akklimatisierten sich (Boné Uaffero, von Schalke II gekommen, sollten sich die PASS-Leser dabei schon mal namentlich merken, aus dem wird noch mal richtig was), auch die Aufstiegshelden selbst hielten in Liga 3 mit. In Wiesbaden beim 1:0-Auswärtssieg gegen Tabellenführer Wehen lieferte Torwart André Poggenborg eine Kicker-Note 1-Leistung, auch sonst können sich seine Auftritte samt dreier parierter Elfmeter sehen lassen. Das neue Level verblüffend locker erreichten auch Florian Hörnig in der Innenverteidigung, Stürmer Michael Kessel und Kusi Kwame, der es im Saisonverlauf vom Sonderbeauftragten für die Unschädlichmachung der Spielmacher der anderen zum (nächsten) Interimskapitän brachte.

Kurz vor Weihnachten roch es sogar einmal nach mehr als nur dem Klassenerhalt, und duftete verführerisch nach einem Platz in der oberen Hälfte des Tableaus. Vielleicht, ganz vielleicht sogar nach einer faustdicken Sensation. Die Fortuna rockte die Liga, dem zweiten Mitaufsteiger aus Großaspach wurde mit einem 4:0-Heimsieg gezeigt, wo der Frosch die Locken hat – und wer in dieser Spielzeit Aufsteiger Nummer eins ist.

Im 2015er Teil der Spielzeit waren die Highlights leider nicht mehr so dick gesät, um der Hoffnung auf mehr weiter Nahrung zu geben. Immerhin, ein 3:0 gab es noch, und das gegen niemand Geringeren als die Arminia aus Bielefeld im ersten Heimspiel des Jahres. Danach wurde es zäh. Dauerverletzte wie Kristoffer Andersen, Sohn des Europameister-Dänen Henrik Andersen, und jede Menge Kurzzeitblessuren zwangen Coach Koschinat zu Rotation und Improvisation.

Dann, nach den Highlights, das Lowlight.

Präsident Klaus Ulonska erlag einem Herzinfarkt. Die Fortuna-Welt war in den Grundfesten erschüttert. Dem Unternehmen Fortuna, das ohnehin nicht auf Rosen gebettet ist, fehlte von jetzt auf gleich der altvordere Kopf. Vor allem aber fehlte den Typen, die Fortuna ausmachen, den Leuten, die der Verein sind, den Fans und Spielern, dem Trainerstab und den inzwischen nicht mehr ganz so wenigen Geldgebern der Mensch Klaus Ulonska. Der mit dem Spendenball, der alle mit Handschlag begrüßte, der alle duzte und zum Telefonhörer griff, um Vereinsmitgliedern persönlich zum Geburtstag zu gratulieren.

Auch sportlich hatte das Auswirkungen, am deutlichsten beim willen- und widerstandslosen 0:4 bei Hansa Rostock. Es dauerte Wochen, ehe mit ziemlich viel Dusel mal wieder ein Sieg zu Buch stand. Das 1:0 daheim gegen Dynamo Dresden war gleichzeitig der gefühlte, wenn auch noch nicht rechnerische Klassenerhalt. Der folgte, wenigstens das, kurz darauf.

Unterm Strich

Die Schuhe, die ein Bayern-II-Torhüter und das Schicksal der Fortuna in den letzten zwölf Monaten hingestellt habe … nun, das eine Paar ist nicht zu groß gewesen. In den Drittligaschlappen fand sich das Ensemble des von den Fans mehr als nur verehrten, eloquenten und immer geradeaus Rede und Antwort stehenden Uwe Koschinat bestens zurecht. Das andere Paar steht noch leer vor dem holzverkleideten grauen Vereinsheim in der Kölner Südstadt: Klaus Ulonskas Nachfolger als Fortuna-Präsident ist noch nicht gefunden.*

Immerhin, der Spendenball macht wieder seine Runden. Der NRW-Finanzminister, die Trainerfrau, der Hauptinvestor, sogar die Witwe – niemand ist sich zu schade. „Juten Tach zusammen!“, mit und für Klaus Ulonska. Und für die Fortuna.



* Inzwischen doch. Hanns-Jörg Westendorf heißt der Mann, den die Fortuna-Gremien ausgeguckt haben und der von den Mitgliedern demnächst gewählt werden soll.

Quelle : https://www.der-toedliche-pass.de/in-der-suedstadt.html