KOSCHINAT: "FORTUNA KEIN NO-NAME-KLUB"



Seit mehr als fünf Jahren ist Uwe Koschinat Trainer des Drittligisten SC Fortuna Köln. Größter Erfolg für den 44-Jährigen mit seiner Mannschaft war der Aufstieg in die 3. Liga 2014. Danach gelang zweimal der Klassenverbleib. In der noch jungen Saison 2016/2017 gehört der langjährige Zweitligist (Platz drei in der "Ewigen Tabelle" der 2. Bundesliga) zu den großen Überraschungen. Nach vier Spieltagen rangiert nur Aufsteiger Jahn Regensburg (zehn Punkte) vor den Kölnern, für die bereits drei Siege und nur eine Niederlage zu Buche stehen.

Im DFB.de-Drittligainterview der Woche spricht Uwe Koschinat mit dem Journalisten Thomas Ziehn über ein Lob von Ex-Nationalspieler Lukas Podolski, die Gründe für den guten Start, das Wechselspiel im Tor und die Voraussetzungen für den nächsten Schritt.

DFB.de: Was denken Sie beim Blick auf die Tabelle, Herr Koschinat?

Uwe Koschinat: Diese Konstellation nach vier Partien war nicht vorauszuahnen. Neun Punkte nach den vier Begegnungen in schneller Folge sind beruhigend, zumal wir in den Spielzeiten zuvor nie gut aus den Startlöchern gekommen waren.

DFB.de: Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für den guten Saisonstart?

Koschinat: Unsere Vorbereitung war ausgelegt auf die hohe Spieldichte am Anfang. Wir hatten ganz bewusst viele Vorbereitungspartien vereinbart. Das 1:0 im Test gegen den Bundesligisten 1. FC Köln war dabei ein Höhepunkt. Den Rückenwind aus diesem Duell konnten wir mit in die Meisterschaft nehmen. Der Schwung hat dann für Selbstsicherheit gesorgt. Außerdem hatten wir nur wenige Zugänge. Die Räder greifen weitgehend problemlos ineinander.

DFB.de: In der vergangenen Saison musste die Fortuna bis zum 4. Spieltag auf den ersten Sieg warten. Was war diesmal anders?

Koschinat: Das 3:0 gegen den 1. FC Magdeburg am 1. Spieltag hat sich angefühlt, als wären wir schon mitten in der Saison. Grund waren die vielen Tests, die fast alle auf Drittliga-Niveau stattgefunden hatten. Da war viel Schärfe drin, wir mussten bis an die Grenzen gehen. Das hat dazu geführt, dass wir kaum Anlaufzeit benötigten, als es Ernst wurde.

DFB.de: Worauf kommt es jetzt an?

Koschinat: Blinde Euphorie gibt es ganz sicher nicht. Da wir die Qualifikation für den DFB-Pokal leider gegen unseren Stadtrivalen FC Viktoria Köln verpasst hatten, können wir uns jetzt in Ruhe auf das Erfurt-Spiel vorbereiten. In dieser - für uns - zweiten Vorbereitung wollen wir die Mannschaft winterfest machen. Die Athletik steht im Vordergrund. Auch die Spieler, die bisher noch nicht so häufig zum Zug kamen, rücken in den Fokus. Wir haben nicht den größten Kader, werden im Saisonverlauf jeden Spieler benötigen.

DFB.de: Die bisher einzigen drei Gegentreffer gab es beim 0:3 im Gastspiel beim SV Wehen Wiesbaden. Haben Sie an der Defensive besonders gefeilt?

Koschinat: Das war nach der vergangenen Saison mit 69 Gegentoren schon sehr wichtig. Wir haben darauf geachtet, jeden Spieler in seiner individuell besten Verfassung auf den Platz zu bringen, damit sie über 90 Minuten hochkonzentriert agieren. In der zurückliegenden Spielzeit hatten wir teilweise unerklärliche individuelle Aussetzer. Die wollten mir minimieren. Darüber hinaus sind wir auch gruppentaktisch noch stärker ins Detail gegangen. Als Kollektiv agieren wir im Vergleich zur Vorsaison kompakter, nicht mehr ganz so offensiv.

DFB.de: Mit Julius Biada und Marco Königs hatten zwei wichtige Offensivspieler den Verein in Richtung 2. Bundesliga verlassen. Wie hat das die Mannschaft aufgefangen?

Koschinat: Auf dem Transfermarkt waren diese beiden Spieler nicht ohne weiteres eins zu eins zu ersetzen. Wir fangen das im Kollektiv auf, nehmen aber auch Einzelne in die Verantwortung. Ich traue zum Beispiel Cauly Oliviera Souza durchaus zu, der nächste Julius Biada zu werden. Er ist jung, leistungsbereit, liefert ab. Hamdi Dahmani macht seine Sache als Vorbereiter ebenfalls gut, strahlt aus der zweiten Reihe auch Torgefahr aus. Zugang Maik Kegel macht uns bei Standards noch gefährlicher.

DFB.de: In den ersten vier Partien standen je zweimal André Poggenborg und Tim Boss zwischen den Pfosten. Warum hatten Sie sich für diese ungewöhnliche Rotation zwischen den Pfosten entschieden?

Koschinat: In erster Linie ist es die extreme Leistungsexplosion bei Tim Boss - nicht nur rein sportlich, sondern vor allem bei seiner Persönlichkeitsentwicklung. In der zurückliegenden Saison stand er während einer Negativserie zwischen den Pfosten, hat dennoch hervorragend gehalten. Diese Phase hat ihn extrem weitergebracht. Er ist stark mit beiden Füßen, gut auf der Linie und hat sich bei der Strafraumbeherrschung verbessert. Poggenborg ist ein erfahrener Schlussmann, der sich mit Tim ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefert. Beide befinden sich auf hohem Niveau. Daher habe ich mich bei der Entscheidung auch so schwer getan. Bisher habe ich danach entschieden, wer besser zum Gegner passte.

DFB.de: Leidet nicht die Eingespieltheit in der Abwehr?

Koschinat: Nein, das glaube ich nicht. In der Defensive gab es kaum personelle Veränderungen. Alle spielen schon länger zusammen, kennen sich gut. Daher sehe ich da keine Problematik.

DFB.de: Wer steht im Gastspiel am 27. August bei Rot-Weiß Erfurt zwischen den Pfosten?

Koschinat: Ich werde in den nächsten Tagen das Gespräch mit meinem Trainerteam suchen sowie auch André und Tim mit ins Boot holen. Bisher haben beide mit extrem guten Leistungen überzeugt. Egal wie die Entscheidung ausfällt: Ich weiß, dass ich nicht beide zufrieden stellen kann. Darum geht es auch nicht. Wichtig ist, die Entscheidung im Sinne der Mannschaft zu fällen.

DFB.de: Beim jüngsten 1:0 gegen Holstein Kiel hat Ihre Mannschaft einen Aufstiegsanwärter bezwungen. Gibt dieser Erfolg noch einmal zusätzlichen Rückenwind?

Koschinat: Das 0:3 in Wiesbaden wenige Tage zuvor war schon fast eine Unverschämtheit, ein Rückfall in die letzte Saison. Ein Debakel wäre möglich gewesen. Die Reaktion darauf beim Auftritt gegen Kiel spricht für die Mannschaft. Defensiv war das nahe an der Perfektion - und das gegen ein Team wie Kiel, das über sehr viel Qualität verfügt.

DFB.de: Fortuna Köln absolviert aktuell die dritte Saison in der 3. Liga. Ist der Verein bereits etabliert?

Koschinat: Aus unserer Sicht ist dieser Prozess im Gange. Die Fremdwahrnehmung ist manchmal bereits eine andere. Wenn ich mit anderen Trainern oder Sportdirektoren rede, zählt uns so gut wie niemand zu den Abstiegskandidaten. Für uns ist die 3. Liga aber keine Selbstverständlichkeit, sondern immer noch eine große Herausforderung. Bisher haben wir es immer geschafft, die Klasse zu halten. Diese Erfahrung gibt eine gewisse Sicherheit.

DFB.de: Registrieren Sie eine gestiegene Wahrnehmung?

Koschinat: In Köln sind wir hinter dem großen Nachbarn 1. FC Köln die ganz klare Nummer zwei, fliegen so häufig unter dem Radar durch. Dieser Schatten ermöglicht es auf der anderen Seite, in Ruhe zu arbeiten, selbst wenn es nicht so gut läuft. Außerhalb von Köln ist die Wahrnehmung auf jeden Fall gestiegen. Das liegt nicht zuletzt an der bundesweiten Berichterstattung über die 3. Liga. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Fans in Halle oder Erfurt mehr über die Fortuna wissen als die Kölner.

DFB.de: Dem gerade zurückgetretenen Nationalspieler Lukas Podolski ist der Erfolg nicht verborgen geblieben. Er twitterte: "Schaue auf die Drittliga-Tabelle. Da sieht man, was mit Cleverness und Bescheidenheit möglich ist." Wie sehr freuen Sie sich über so ein Lob?

Koschinat: Das ist fantastisch. Ich weiß, dass Lukas‘ Schwager Cengiz Can vor meiner Zeit für die Fortuna am Ball war. Außerdem gab es einmal eine Wette zwischen Lukas und Tobias Schweinsteiger vor unseren Aufstiegsspielen gegen die U 23 des FC Bayern München. Wir haben gewonnen - und Lukas entschied die Wette für sich. Von daher gibt es schon Berührungspunkte. Dennoch: Wenn ein 129-maliger Nationalspieler wie Lukas Podolski uns auch im Alltag verfolgt und mitbekommt, dass wir Zweiter sind, zeigt das deutlich, dass wir kein No Name-Klub mehr sind.

DFB.de: Woran muss gearbeitet werden, um vielleicht einmal an den nächsten Schritt zu denken?

Koschinat: Zum einen müssen wir uns dafür wirtschaftlich noch breiter aufstellen. Ich sehe uns da auf einem guten Weg. Um in der 3. Liga ganz oben mitzuspielen, benötigen wir schlicht und einfach mehr Geld, um in den Kader zu investieren. Dabei dürfen unsere Grundtugenden wie Kameradschaft und Zusammenhalt nicht abhandenkommen. Hinzu kommt das richtige Händchen bei den Personalentscheidungen. Schon ein einzelner guter Transfer kann eine Mannschaft auf ein anderes Qualitätslevel heben.

[mspw]

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