Daniel Keita-Ruel - Torjäger auf Bewährung

Fortuna Köln vertraut auf einen Stürmer, der während einer langen Gefängnisstrafe seinen Stil umstellte - Daniel Keita-Ruel sucht seine zweite Chance.

Es war ein warmer Montagmorgen im Juli, die Sonne schien auf graue Straßen in Wuppertal, als sich Daniel Keita-Ruel dazu entschloss, sein Leben zu zerstören. Er schwitzte, zitterte, wollte brechen. Er ahnte, dass er einen Fehler machte. Er war doch Keita, der Fußballer, das Talent. Viele in der Stadt kannten ihn, manche bewunderten ihn, andere staunten über seine Tattoos. Seine Mutter wusste, dass er ein gutes Herz hatte. Die Fans hofften, dass er bald Tore für den Wuppertaler SV schießen werde. Er war ja noch jung, 21, ehemaliger Junioren-Nationalspieler. Das wird niemals gut gehen, dachte er. Dann zog er die Sturmhaube ins Gesicht, versteckte sich und wartete auf sein erstes Opfer. Es war erst der Anfang damals, im Sommer 2011.

Bei Fortuna, dem kleinen Kölner Verein, sind sie sicher, einen Geläuterten geholt zu haben
Sechs Jahre später ist Daniel Keita-Ruel ein verurteilter Mann, wegen Raubes in vier Fällen, drei davon schwer. Er saß fast vier Jahre im Gefängnis. Seine Bewährungsstrafe endet 2019. An diesem Samstag wird er wieder Profifußball spielen.

Er lächelt, als er nach dem Training die Treppen zur Kabine von Fortuna Köln hochläuft, es ist die Woche vor dem Start der Drittliga-Saison. Seine Kappe macht ihn größer als 1,88 Meter, Hals und Arme sind tätowiert, in den Ohren glitzern zwei Stecker. Der Trainer liebt seine furchtlose Art zu stürmen, nennt ihn einen Krieger. Bei der Fortuna, dem kleinen Kölner Verein, sind sie sicher, einen Geläuterten geholt zu haben. Einen, der sich verlor, aber jetzt ein Vorbild sein will. Daniel Keita-Ruel grüßt mit klatschendem Handschlag.

Keita, so haben sie ihn schon damals in Wuppertal genannt, in Elberfeld-West, Postleitzahl 105, er trägt die Zahl als Tattoo auf dem Arm. Raues Viertel, sagt er, doch der Bolzplatz hatte einen Boden aus Gummi. Vier gegen vier spielten sie dort. "Ich habe sie auseinander genommen", sagt er: "Pap-pap-pap", der Slang von früher. Keita, Sohn einer Erzieherin und eines Verkäufers, hatte eine glückliche Kindheit. Am glücklichsten war er, wenn ihm die anderen auf die Schulter klopften. Auf dem Bolzplatz, im Verein. Als Jugendlicher wechselte er vom Wuppertaler SV zu Borussia Mönchengladbach. Er sah die Bundesligaspieler in ihren teuren Autos, wähnte sich als einer von ihnen. Wenn er nach Elberfeld zurückkam, wurde er auch so behandelt.

Wie geraten Karrieren auf Abwege?

Im Schwimmunterricht brach er mit einem Kumpel einen Spind auf, musste Sozialstunden leisten. Er habe ja nur daneben gestanden, sagt er heute. In Gladbach hatte Keita einen Vertrag, in dem stand, dass er nicht an Schulturnieren teilnehmen dürfe. Doch der Schulleiter fragte, die Mitschüler drängten, die Mädchen schauten. Also spielte er für seine Hauptschule bei der Stadtmeisterschaft. Er nahm alle auseinander, demütigte seine Gegner mit Beinschüssen. Ein Gegenspieler rächte sich, foulte ihn. Keita verteilte eine Kopfnuss und wurde gesperrt. Er weiß noch, wie Max Eberl ihn in sein Büro zitierte, schon damals Manager in Gladbach. Eberl soll laut Keita gesagt haben: "Von Hals bis Fuß bist du Bundesliga, aber in deiner Birne bist du Kreisliga."

Keita zog weiter nach Bonn, fünfte Liga. Bald holte ihn der Wuppertaler SV zurück, dritte Liga, er wurde Profi. Doch Wuppertal kämpfte gegen den Abstieg und hatte für ein Talent keinen Platz. Wenn sich seine Weggefährten an die Zeit erinnern, an den Sommer 2011, dann sagen sie, dass es im Leben von Daniel Keita-Ruel eine Wende brauchte. Er hatte keine Ausbildung, ein Probetraining beim FSV Frankfurt scheiterte, er verdiente mittelmäßig.

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Es ging alles schnell, jedenfalls in seiner Erinnerung. Ein paar Wochen lang, als seine Familie im Urlaub war, schlenderte er ziellos durch die Straßen, hing in der Pizzeria Don Camillo ab, mit einem Jugendtrainer vom WSV, vier Männern, die er kaum kannte und einem langhaarigen Italiener. Keita nennt ihn den "Bandenboss".

Das Gericht glaubte ihm seine Version nicht, wonach er unter Druck gesetzt worden sei mitzumachen. Die Richter glaubten, es sei auch seine Idee gewesen. "Big Boy", taufte ihn der Boulevard: Big Boy und seine Bande. Sie planten vier Überfälle. Beim ersten riss er der Mitarbeiterin einer Modeboutique die Kasse aus der Hand. Beim zweiten zwang er den Besitzer einer Postfiliale, den Tresor zu öffnen. Bei einem Überfall auf einen Kiosk stand er daneben. Und dann überfielen sie einen Baumarkt mit der Softair-Pistole und Plastik-Handschellen, es war die größte Nummer. Der Geschäftsführer war eingeweiht, Keita füllte die Rucksäcke mit Geldscheinen.

Es waren am Ende fast 100 000 Euro, die die Bande in zwei Sommermonaten erbeutete. Doch sie waren Amateure, wurden observiert, flogen auf. Auf dem Weg zum fünften Raub überwältigte die Polizei Keita und einen Komplizen auf einer Kreuzung mitten in Wuppertal. Wir wissen, dass du Fußballer bist, riefen sie, wir schießen dir ins Bein. Er kam in Untersuchungshaft, zunächst in eine Einzelzelle. Der Haftrichter erkannte ihn. Keita, fragte er, was hast du nur getan?

Es gab im deutschen Fußball schon mal einen ähnlichen Fall. Der Berliner Süleyman Koc, der in Babelsberg in der dritten Liga spielte, beteiligte sich an einer Raubserie und musste ins Gefängnis, drei Jahre und neun Monate - auch das verstand damals kaum jemand, er war doch so freundlich. Nach seiner Freilassung schaffte es Koc beim SC Paderborn bis in die Bundesliga. Keita sah im Gefängnis das eigene Gesicht im Fernsehen, er schämte sich, er bereute seine Fehler, entschuldigte sich bei seinen Opfern. Doch er las auch Kocs Geschichte. Er las Nelson Mandela. Er hörte Hip-Hop, Du Maroc: "Weisst du noch damals, One Touch am Bolzplatz/ Dramas, die keiner von uns wollte man/ Doch das machte uns hart und stabil."

In der Haft erfuhr Keita vom Tod seines Vaters. Er erlebte die Dramen, die Härten im Gefängnis, und er dachte: Ich habe doch noch Hoffnung.

Er schrieb einen Brief an eine Betreuerin beim Wuppertaler SV, in dem er sich entschuldigte und erzählte, wie sehr er den Fußball vermisse. Peter Radojewski, sein früherer Trainer in Wuppertal, schickte Keita Trainingspläne und Fußballschuhe ins Gefängnis. Bei einem Besuch, erzählt Radojewski, sah er den alten Keita, wie er mit den Wärtern sprach, als seien sie Kumpels. Doch er sah auch eine neue, ernsthafte Seite. Keita trainierte jeden Tag für die zweite Chance, Liegestütze auf acht Quadratmetern, Läufe auf dem Hof. Den Wärtern sagte er: Zwingt mich dazu.

Im Sommer 2014 kam Keita in den offenen Vollzug, wurde nach Düsseldorf verlegt, wo er als Sportwart im Gefängnis arbeiten durfte, die Halle putzen und zweimal am Tag trainieren. Er spielte als Freigänger für Radojewskis Mannschaft, Ratingen, in der Oberliga. Im Knast war der Trickser zum Brecher geworden, zum muskulösen Mittelstürmer, fünf Kilo schwerer. Bei den Turnieren der Gefängnismannschaft auf Ascheplätzen waren sie nicht mehr auf seine Mätzchen reingefallen. Er konnte die Gegner nicht mehr einfach auseinandernehmen, kein Pap-pap-pap. Er musste das Spiel ernster nehmen. "Ich wurde besser", sagt er.

17 Tore erzielte er in der vorigen Saison, viertklassig, in der Regionalliga für Wattenscheid
Für Ratingen traf er in 50 Spielen 18 Mal, 17 Tore erzielte er in der vorigen Saison, viertklassig, in der Regionalliga für Wattenscheid 09. Als freier Mann. Dann kam das Angebot von Fortuna Köln: Profifußball, die zweite Chance. Seit dieser Saison gibt es die dritte Liga in der "Fifa"-Serie für die PlayStation, man kann Daniel Keita-Ruel als Figur auswählen, um mit ihm gegen Messi oder Ronaldo zu spielen. "Die Jungs rasten aus", sagt Keita, seine alten Freunde. Er selbst sagt vor dem ersten Spiel: "Ich bin bereit, den Leuten wehzutun." Er meint die Gegner auf dem Feld.

Keita will jetzt ein guter Mensch sein. Er modelt nebenbei, fliegt für ein Düsseldorfer Modelabel bis nach Mailand. Ihm wird wieder viel auf die Schulter geklopft, auch von den falschen Freunden. Die Fans werden seinen Namen rufen. Doch Daniel Keita-Ruel, der Fußballprofi, will darüber nicht allzu viel nachdenken. Er hat sich verboten, in seinem neuen Leben zu früh zufrieden zu sein.

Quelle : sueddeutsche.de