Deutschlands älteste Ultragruppe kommt aus Köln
Adler verpflichtet

Wie kam die Ultrakultur nach Deutschland? Die Fortuna Eagles 1986 müssen es wissen, sie sind die älteste Ultragruppe des Landes.

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Nikita Teryoshin

Jean Löring kam fuchsteufelswild aus der Kabine. Seit sieben Spielen war Fortuna Köln sieglos, und heute, gegen Waldhof Mannheim, drohte die nächste Niederlage, zur Halbzeit stand es bereits 0:2. Als der Präsident in den Innenraum wütete, erblickte er drei Bekannte auf der Tribüne. Er winkte sie an den Zaun, beugte sich vor und flüsterte: »Hab’ eben den Tünn rausgeworfen.«

Die drei Jungs schauten sich irritiert an, waren sie tatsächlich die Ersten, die von der heute legendären Halbzeitentlassung Toni Schumachers erfahren hatten? Nur einer, der den Tünn ganz gern mochte, rief ihm hinterher: »Alter Mann, geh doch nach Hause!« Aber der alte Mann dachte nicht daran, er drehte sich um und sagte: »Komm nur her! Ich hab’ früher geboxt!«

Das letzte Hemd für den Verein

Später erfuhren die drei Freunde, dass Löring seinen Trainer mit den Worten »Du hast hier nichts mehr zu sagen, Wichser!« entlassen hatte. Ein Wahnsinniger, dachten sie. Aber auch einer, der den Fußball lebte. Der sein letztes Hemd geben würde für den Verein. So wie sie.

Siebzehn Jahre später, an einem Freitagabend im Januar, sitzen jene drei Freunde im Vereinsheim des SC Fortuna Köln. Sie heißen Marco, Renato und Bächti, sind mittlerweile um die 50 Jahre alt, und vermutlich gibt es im Kölner Stadtteil Zollstock nur wenige Fans, die mehr mitgemacht haben als sie. Die drei besuchen seit den achtziger Jahren das Südstadion, sie haben Aufstiegskämpfe und Insolvenzen erlebt, dubiose Geschäftsmänner kommen und gehen sehen, bei kuriosen Rettungsaktionen mitgeholfen.

Keine Ü40-Veranstaltung

Sie blieben sogar, als Fortuna in die Verbandsliga abstieg. Und sie sind immer noch hier. Natürlich. Sie sind Ultras. Gründer der Fortuna Eagles, der ersten Ultragruppe Deutschlands, weshalb sie auf manche nicht nur ultratreu, sondern auch ultraalt wirken, schließlich gilt die Ultrakultur, zumindest in Deutschland, nicht gerade als Ü40-Veranstaltung.

Dieser Tage sind die Eagles dreißig Jahre alt geworden, und eigentlich wollten sie das Jubiläum groß feiern. Für die letzte Hinrundenpartie Mitte Dezember 2016, ein Heimspiel gegen die zweite Mannschaft von Mainz 05, hatten sie eine Choreografie vorbereitet. Ein Jahr Arbeit steckte darin.

Wenige Tage vor dem Spiel verbot der Verein aber die Choreo, weil Fortuna-Fans in Paderborn Pyrotechnik abgebrannt hatten. Auf Facebook riefen die Eagles deshalb zu einem Stimmungsboykott vor dem Mainz-Spiel auf, zu einem Protest »gegen die Feinde der Fankultur«. Was hätte Altpräsident Löring wohl gesagt?

Statt 30-Jahre-Party im Stadion nun also Familientreffen im kleinen Kreis. Beßje verzälle vun fröher.

Deutschlands älteste Ultragruppe kommt aus Köln
Back in the summer of ’86

Am Kopfende des Tisches Marco, der mit seinem Kapuzenpullover und den zusammengekniffenen Augen ein wenig an Robert de Niro zu „The Fan“-Zeiten erinnert. Daneben Renato, Marcos Bruder, der stillere der beiden, praktische Neunziger-Jahre-Mittelscheitelfrisur, praktischer Neunziger-Jahre-Strickpulli. Und an der Seite der redselige Bächti, ein stämmiger Mann mit Halbglatze und Polo-Shirt, Aufdruck: Fortuna Eagles.

Sie sitzen hier mit einer Handvoll jüngerer Ultras, zweite und dritte Eagles-Generation, ein paar sind noch Teenager. Vor allem sie sind immer noch angefressen wegen der Sache mit dem Choreoverbot. Wenn sie, die Jungen, vom Verein sprechen, nennen sie ihn »die GmbH«. Marco, Renato und Bächti, die Alten, nicken verständnisvoll. Und dann schauen sie etwas skeptisch, ob der Mann mit dem Schreibblock das überhaupt versteht.

Back in the summer of ’86

Ob er Freund oder Feind der Fankultur ist. Dabei möchte man nur zwei Dinge wissen: Wie fühlt es sich an, in einer sogenannten Jugendkultur alt zu werden? Und warum, um alles in der Welt, hat sich die erste Ultragruppe Deutschlands bei Fortuna Köln gegründet?

Vieles Zufall, sagen die Jungen und schauen rüber zu Marco und Renato, schließlich wussten die beiden bereits, was Ultra heißt, als andere noch dachten, dass es sich um ein Waschmittel handele. »Wo fangen wir an?«, fragt Marco. Ja, wo fangen wir an? Vielleicht mit einer Reise in das Südstadion der Achtziger, back in the summer of ’86.

Fortuna geht 0:8 unter

Damals, ganz am Anfang, steht eine Demütigung. Im Juni 1986 trifft Fortuna in der Relegation auf Dortmund. Das Hinspiel gewinnen die Kölner mit 2:0, im Rückspiel steht es bis kurz vor Schluss 1:2, Fortunas Spieler fühlen mit einem Fuß Bundesligarasen. Dann aber macht Jürgen Wegmann, die Kobra, das dritte Tor für den BVB, und weil die Auswärtstorregel noch nicht gilt, wird ein Wiederholungsspiel angesetzt.

Ohne sieben Stammspieler – fünf sind verletzt, zwei gesperrt – geht Fortuna 0:8 unter. Wenige Tage später beschließen Marco und Renato, dass es Zeit ist für eine Veränderung.

»Die Gesänge waren altbacken«

Deutsche Fankurven sind damals keine bunten und offenen Orte. In vielen Stadien verhallen die Gesänge im kalten Beton der grauen Tribünen. Oder aber sie prallen ab an den Stiernacken der Vorderleute. Die Fanblöcke werden von Rockern und Kutten dominiert, später übernehmen glatzköpfige Halbstarke mit Springerstiefeln die Kurven. Wer etwas verändern möchte, muss erst einmal bei den Platzhirschen vorsprechen.

Auch Fortuna Köln ist alles andere als ein Zuschauermagnet. Selbst in jener Fast-Aufstiegssaison 1985/86 kommen selten mehr als 5000 Fans ins Südstadion. Zwei Jahre später hat Fortuna sogar den schlechtesten Zuschauerschnitt der zweiten Liga. An Stimmung ist kaum zu denken. Nicht mal an schlechte. »Selbst die Kutten oder Hools konnte man an einer Hand abzählen«, sagt Marco. »Die Gesänge waren altbacken«, sagt Renato.

Quelle: https://www.11freunde.de/artikel/deutschlands-aelteste-ultragruppe-kommt-aus-koeln/page/2